Am Samstag vormittag pilgert halb Bremen mit Kind und Kegel Richtung Neukirchstraße. Es ist Markttag in Findorff. Junge Eltern manövrieren Kinderbuggys um Marktstände und -besucher,
Tragetuchbabys lugen über die Schultern ihrer TrägerInnen, wer mag, bekommt eine Scheibe Wurst oder einen Apfel von Aenne. Kinder, die nichts gegen Schärfe haben, probieren einen veganen Snack bei Heiko ganz hinten Richtung Parkplatz. Birthe vom knallroten »Espressomobil« macht
Gute-Laune-Milchschaum-Muster für die Großen und Kinder-Cappucchino für die Kleinen. An den anderen beiden Markttagen gehört das Marktgeschehen den »Einheimischen«, dann ist auch Platz für breite
Kinderwagen und die Kleinen gehen nicht mehr so schnell verloren. An drei Tagen in der Woche ist der Findorffmarkt eines der Highlights in unserem Stadtteil, Markplatz und Treffpunkt für
jung und alt. Man kauft ein, trifft Leute, trinkt einen Kaffee. Der Markt ist das Zentrum, gut erreichbar für alle Findorffer. Das ist typisch für das Quartier: Infrastruktur und Lage sind
familienfreundlich, die meisten Läden, Freizeitaktivitäten und Bildungsstätten sind gut erreichbar, am besten bewegt man sich mit Fahrrad oder oder zu Fuß durch die Straßen. Sobald die Kinder
können und dürfen machen sie sich allein auf den Weg, besuchen Freunde, gehen zum Sport, kaufen ein bei »Sanders«. Alles ist sozusagen um die Ecke.
Freitags parkt der Bücherbus auf der Marktfläche. Zischend öffnet sich die Bustür, hinein geht es in die mobile Bibliothek, vollgepackt mit Buch-, CD- und Zeitschriftenregalen. Auch hier treffen sich Familien, plaudern eine Runde, die Kinder und Eltern greifen zur Ferienlektüre, der Wochenendfilm wird eingepackt und irgendwann reiht man sich mehr oder wenig geduldig in die Ausleihschlange. Ein paar Straßen weiter befindet sich die Schulbibliothek der Grundschule Admiralschule. Vor einigen Jahren gingen dort auch Kinder, die nicht oder noch nicht GrundschülerInnen dieser Schule waren, ein und aus. Derzeit ist die Bibliothek nicht offiziell öffentlich. Es bleibt zu hoffen, dass sie auch zukünftig wieder allen Findorffer Kids die Türen öffnet.
Fast ein bisschen »kreuzbergig« geht es wochentags im »feliz« direkt am Markt zu, wenn dort die Mütter (und ab und zu auch mal ein Vater) nach dem Einkauf ihren Kaffee trinken. Apropos Café: In den meisten Findorffer Cafés und Restaurants sind Kinder gern gesehen, sie gehören schließlich zum Stadtteil dazu: In der »Lilie« zum Beispiel, wo gern mal die Kindergruppe Sonnenstrahl ihre Kunstwerke ausstellt oder in »Katjas Villa Kunterbunt«, wo ausdrücklich draußen und drinnen gespielt werden darf und im »Port Piet«, dem Biergarten am Torfhafen, wo es es ruhig mal wilder und lauter zugehen darf, ohne dass die Gäste meckern. Eltern mit kleinen Kinder sitzen besser in Blicknähe bei ihrem Nachwuchs, damit er nicht vor lauter Begeisterung für die Enten in den Torfhafen rutscht. Am Rand des Hafenbeckens liegen Leihkanus und historische Torfkähne, bereit für einen Törn Richtung Teufelsmoor. Ganz cool für Kids: eine Schmuggelfahrt über den Torfkanal.
Gerutscht (und geschaukelt, gewippt oder im Sand gebuddelt) wird am besten im Bürgerpark auf dem großen Piratenspielplatz. Der ist allerdings auch der bekannteste Spielplatz im Park und an sonnigen Nachmittagen oder am Wochenende gern mal sehr voll. Ansonsten befinden sich die eigentlichen Stadtteil-Spielplätze eher versteckt inmitten der Wohngebiete. Einige Plätze sind dank der Unterstützung durch Bürgeriniativen bzw. Elterniniativen sehr gut ausgestattet und werden regelmäßig gepflegt, so zum Beispiel der Spielplatz in der Herbststraße oder der Spielplatz Corveystraße. Wer kicken will, hat weniger Möglichkeiten, denn Bolzplätze oder große Spielwiesen direkt im Viertel sind rar. Nach Schulschluss dürfen zwar die Schulhöfe genutzt werden, doch echte Fussballfans spielen besser in der Sportgemeinschaft Findorff, dem örtlichen Sportverein, oder machen sich dann doch auf den Weg in den Bürgerpark.
Große Gärten sind die Ausnahme im dicht bebauten Findorff, das typische Reihenhausgrundstück ist schmal, mit nicht viel mehr als einem »Handtuch« als Garten. Immerhin passt eine Sandkiste hinein und im Sommer das obligatorische Plantschbecken. Viele Familien verlagern ihr Gartenleben auf Parzelle. Kleingärten gibt es in Findorff mehr als genug, zum Beispiel im Ortsteil »In den Hufen« nördlich der Bahnlinie Bremen-Hamburg. Endlich genug Platz für Baumhaus und Trampolin, für Schlammschlachten und Familiengrillabende!
Theater ganz nah: Beim sonntäglichen Kindertheater auf dem Magazinboden des Schlachthofs hocken die Kids direkt an der Bühne, lauschen andächtig Figurentheater, Clownerie oder Schauspielkunst und feuern gern mal die Schauspieler an – dabei sein ist alles. Auch für die größeren Kinder ist der Schlachthof eine empfehlenswerte Anlaufstelle: In den Ferien werden coole Kurzfilme produziert, musikbegeisterte Mädchen proben Coversongs oder eigene Musik und im Rahmen von »Whirlschool« zeigen SchülerInnen einmal im Jahr ihre beindruckenden Tanzstücke. Direkt vor dem Schlachthof liegt das Skaterterrain; schon cool, wenn die Jugendlichen mit BMX-Rädern oder Skateboards über den Parcours rollen und die Kleinen ihr Glück auf Inlinern versuchen. Kinder, die sich für künstlerische Techniken interessieren, sind gut aufgehoben in der Freien Kunstschule Bremen in der Plantage 13, den ehemaligen Werkhallen einer Blusenfabrik. Bereits im Vorschulalter geht es los mit verschiedenen Mal- und Gestaltungskursen, ältere Kinder zeichnen dort zum Beispiel Comics und Mangas. Direkt gegenüber der Freien Kunstschule ertönen Orchesterklänge, hier proben die Bremer Philharmoniker. Seit über zehn Jahre haben Kinder die Gelegenheit, Instrumente auszuprobieren und gemeinsam zu musizieren. Bei der regelmäßigen Musikwerkstatt geht es laut zu und schräg, zum Beispiel, wenn Instrumente selber gebaut (und natürlich auch gespielt) werden. Ganz in der Nähe befindet sich das Bremer Rundfunkmuseum – das klingt nach alten Radios und kratzigen Hörspielen, kaum vorstellbar für smartphone-verwöhnte Kids. Genau die werden erstaunt sein, was sich hinter der scheinbar altmodischen Technik verbirgt. Reinschauen lohnt sich. Auch die Martin-Luther-Gemeinde wird gern von Familien angesteuert, die Freizeitangebote sind vielfältig und bezahlbar: Vom Gitarren- über Blockflötenunterricht, über Spielenachmittage, Kasperletheater bis hin zu Familienfreizeiten im Sommer. Teenies zieht es nach nebenan ins »Freizi«, das Jugendzentrum in der Neukirchstraße.
Mit drei Grundschulen, darunter zwei Ganztagsschulen, ist der Stadtteil gut ausgestattet und auch die weiterführende Schule – die Oberschule Findorff – ist für die meisten Kinder im Viertel nicht weit entfernt. Wer sich für ein Gymnasium entscheidet (und dort einen Platz bekommt), muss zwar weitere Wege in Kauf nehmen, aber die drei Innenstadtgymnasien können gut mit Fahrrad oder Bus angesteuert werden. Natürlich fehlt es hier ebenfalls, wie überall im Bundesland Bremen, an Lehrkräften und viele der Schulgebäude sind sanierungsbedürftig.
Fragt man Kinder, was ihnen in ihrem Stadtteil fehlt, müssen die erst einmal nachdenken, eigentlich ist alles gut hier im »Dorf«. Und dann kommt doch so die ein oder andere Anregung. Ein Schwimmbad wäre klasse oder mehr Grünflächen in den Wohngebieten und weniger Verkehr. Eine Eislaufbahn wäre nicht schlecht, muss aber nicht sein, wir haben ja die Semkenfahrt im Blockland. Und der Weg durch den Findorfftunnel ist ein bisschen gruselig, zumindest, wenn es dunkel ist. Das ist nicht so schön, wenn man im Winter Richtung Altes Gymnasium oder in die Stadt radelt. Fragt man die Eltern, könnte das Betreuungsangebot noch besser sein, vor allem für die unter 3-Jährigen. Schließlich hat nicht jeder die Möglichkeit, vormittags mit dem Kinderwagen in Ruhe über den Markt zu schlendern. Und auch die Verkehrsplanung weist noch einige Lücken auf. Wünschenswert sind mehr sichere (Schul-)Wege für Kinder und Jugendliche, d.h. mehr verkehrsberuhigte Straßen und Ampelübergänge und weniger dicht beparkte Straßenzüge. Manche Flächen könnte man mit wenig Aufwand in Tobe- oder Bolzplätze verwandeln: die Marktfläche zum Beispiel, wenn keine Markttage sind. Das setzt allerdings voraus, dass der Platz nicht als Parkplatz genutzt wird und dass sich Kinder dort sicher bewegen können. Und last not least: Natürlich fehlt hier bezahlbarer Wohnraum. Die Miet- und Immobilienpreise steigen in Findorff kontinuierlich an und machen es inzwischen fast unmöglich, eine ausreichend große und bezahlbare Wohnung oder ein Häuschen zu finden.
Wie kann man den Stadtteil noch familienfreundlicher machen? Ihre Meinung? Wir freuen uns auf Ihren Eintrag im Gästebuch!
Den zweiten Meinungsbeitrag in unserer neuen Rubrik »Zwischenruf« schrieb Suse Lübker, die freiberuflich als Redakteurin und angestellt als Pressereferentin arbeitet. Seit mehr als zehn Jahren schreibt sie über Familienthemen in Bremen, u.a. für die Kinderzeit, aber auch überregional, seit über 20 Jahren lebt sie mit Kind und Kegel in Findorff. Im Oktober erschien ihr erstes Buch »Das Bremer Kinderlexikon: Von Achterdiek bis Ziegenmarkt« von Wiebke Hasselmann lustig-liebevoll illustriert. Auf circa 90 Seiten berichtet die Autorin über über ihre Wunsch- und Wahlheimat Bremen, erzählt von Orten und Traditionen, über historische Ereignisse und aktuelle Veranstaltungen, witzig und informativ. Natürlich kommt »ihr« Stadtteil nicht zu kurz: Die kleinen (und großen) LeserInnen erfahren zum Beispiel, warum Jan Reiners die Bremer Bürger glücklich gemacht hat und wen der Graureiher am Torfkanal beobachtet. www.suseluebker.de
Autorin: Suse Lübker
Illustratorin: Wiebke Hasselmann
Schünemann Verlag 2015
Bestellnummer: ISBN 978-3944552620
Empfohlenes Alter: ab 8 Jahren.
Preis: 12,90 Euro
Gibt es in jeder guten Buchhandlung und (support your local dealer!) in Findorff vor Ort oder online bei Frau Hüchting im Findorffer Bücherfenster.